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Eine kleine Adventsgeschichte über Menschlichkeit: Warum wir im Dezember wieder echte Momente brauchen

  • Autorenbild: Timo Call
    Timo Call
  • vor 11 Minuten
  • 4 Min. Lesezeit

Die Stadt funkelte, aber auf eine gehetzte Art. Menschen eilten mit Tüten durch die Straßen, die Blicke starr, die Schultern hochgezogen. Weihnachten stand vor der Tür.

Doch niemand schien wirklich anzukommen. Ich saß im Auto auf dem Weg zum Training. Das Radio spielte ein Weihnachtslied - irgendwo zwischen Melancholie und Hoffnung. Ich schaltete leiser. Mein Kopf war eh laut genug:

Eine Adventsgeschichte über Menschlichkeit

To-do-Listen, Jahrespläne und schon voll mit Gedanken, die längst im Januar lebten.

An der nächsten Ampel sah ich einen kleinen Jungen. Er stapfte mit seiner Mutter durch den Schnee, blieb plötzlich stehen, legte den Kopf in den Nacken und fing mit der Zunge eine Schneeflocke auf.

Er lachte, hell, frei, unbeschwert, unbekümmert, als hätte er gerade das Geheimnis des Lebens entdeckt.

Und ich fragte mich, wann haben wir eigentlich aufgehört, so zu lachen, so sich am Moment zu freuen, an den kleinen Dingen, die das Leben ausmachen, zu freuen? Wann haben wir verlernt, so unbeschwert, so unbekümmert zu sein?


Mehr bedeutet manchmal weniger


Damals, als ich begann mit Menschen zu arbeiten, wollte ich ihnen helfen, über sich hinaus zu wachsen. Du kannst mehr - das war damals mein Leitsatz. Ich meinte, mehr Kraft, mehr Mut, mehr Fokus. Und daran glaube ich heute auch noch.

Es ist heute auch noch einer meiner Leitsätze. Aber heute weiß ich, manchmal bedeutet mehr auch weniger. Weniger Druck, weniger Vergleiche, weniger Rennen.

Mehr ankommen, mehr atmen, mehr sein.


Eine Begegnung am Bahnsteig


Ein paar Tage später waren wir mit unseren Kindern unterwegs. Rucksäcke, Taschen, Kinderwagen, alles dabei.

Der Bahnsteig war voll, die Menschen gestresst, die Stimmung typisch Dezember, typisch Vorweihnachtszeit. Wir suchten den richtigen Waggon, als eine ältere Frau auf uns zukam. Sie lächelte und fragte "Wobei kann ich euch helfen?"

Wir sagten, mit dem ganzen Gepäck und den Kindern würden wir gerne wissen, wo wir am besten stehen, wenn der Zug einfährt.

Sie half uns, aber sie war noch nicht fertig. Schon wieder fragte sie "Wobei kann ich euch jetzt noch helfen?" Ich wusste nicht, was sie meinte. Sagte erstmal Danke.

"Nein, mit dem ganzen Gepäck" sagte sie "Wobei kann ich euch da helfen? Was kann ich tragen?"

Ich wollte zuerst ablehnen, wie man das eben tut aus Höflichkeit. Doch sie blieb stehen, sah mich an und in ihrem Blick lag so etwas wie Wärme. Sie sagte wieder "Wobei kann ich euch helfen? Ich kann sicher zwei Sachen tragen." sagte sie lachend.

Und ich wollte schon sagen, die Koffer sind zu schwer, aber der Kindersitz und der Buggy, das würde vom Gewicht gehen. Und ehe ich mich versah, trug sie unser Gepäck, nahm sich den Kindersitz und den Buggy und half uns beim Einsteigen und wartete, bis wir unsere Plätze gefunden hatten, bis meine Frau und meine Kinder saßen und ich das Gepäck verräumen konnte. Diese Frau zeigte mir, wie einfach es ist zu helfen, wie einfach es ist, menschlich zu sein.


Ein Lachen, das einen ganzen Zug verändert


Im Zug fing unsere sechs Monate alte Tochter an zu weinen, ein paar genervte Blicke. Verständlich, dachte ich. Doch dann fing unser vierjähriger Sohn an zu lachen. Herzhaft, laut, ehrlich und plötzlich lachten alle mit.

Keiner wusste, warum er lachte, aber dieses ehrliche Lachen steckte an. Die Gesichter strahlten. Ein Moment, in dem sich alles veränderte.

Aus Stress wurde Leichtigkeit. Aus Distanz wurde Nähe. Und ich dachte, wie leicht es ist, Menschen zum Strahlen zu bringen.

Wie schnell sich Dunkelheit in Licht verwandeln kann, wenn nur einer damit anfängt. Später, als der Zug weiter rollte, sah ich aus dem Fenster - Felder, Lichter, Schnee.

Alles zog vorbei und ich dachte, vielleicht ist das Leben genau das: ein Zug voller Menschen, voller Geschichten. Und manchmal begegnen wir jemanden, der uns erinnert, wieder hinzuschauen, wieder da zu sein.


Die alte Parabel vom Ankommen



Eine Adventsgeschichte über Zufriedenheit

Am Abend kam mir eine alte Parabel in den Sinn. Ein Sohn aus der Stadt kommt zu seinem Vater aufs Land.

Er sieht seinen Vater und fragt ihn: "Papa, wie schaffst du es nur immer so entspannt zu sein?"

Und der Vater antwortete. "Nun mein Sohn, das ist ganz einfach. Wenn ich schlafe, schlafe ich. Wenn ich aufstehe, stehe ich auf. Wenn ich frühstücke, frühstücke ich. Und wenn ich aus dem Haus gehe, dann gehe ich aus dem Haus."

Der Sohn schaut ihn an und sagt: "Aber das mache ich doch alles ganz genauso."

Der Vater lächelt und antwortet: "Nein mein Sohn, du machst alles ein bisschen anders.

Wenn du schläfst, stehst du schon auf. Wenn du aufstehst, frühstückst du schon. Und wenn du frühstückst, gehst du schon aus dem Haus."


Wie oft sind wir woanders, während das Leben genau hier passiert? Wie oft sind wir mit unserem Kopf woanders, während wir eigentlich im Moment glücklich sein könnten? Wie oft rennen wir dem Glück hinterher, statt zu merken, dass es längst neben uns sitzt?

In Form eines Lächelns, eines Lachens, eines kleinen Moments dazwischen. Draußen fiel leiser Schnee, die Stadt wurde still, ich atmete tief ein.


Der Sinn dieser Zeit


Vielleicht ist das der eigentliche Sinn dieser Zeit, nicht dem Glück hinterher zu laufen, sondern stehen zu bleiben, wenn es vorbeikommt. Es zu sehen, zu spüren und es wie eine Schneeflocke auf der Zunge zergehen zu lassen.

Ich fuhr später langsamer nach Hause. Die Straßen glänzten, die Welt atmete und zum ersten Mal seit langem fühlte ich nicht das Bedürfnis irgendwo anzukommen. Denn ich war schon da. Ich war einfach da.

Ein stilles Lied, ein tiefer Atemzug, ein kurzer Moment dazwischen. Vielleicht ist das das wahre "Mehr", das wir alle suchen.


Dein Timo

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